Eine Frau kocht (Symbolbild). 

Wie läuft eigentlich der Besuch bei einer Diabetesberaterin ab? 

Nach der Diagnose Gestationsdiabetes macht man einen Termin bei einer Diabetes-Schwerpunktpraxis. Hier wird einem gezeigt, wie man seinen Blutzucker misst, und bekommt Ernährungstipps. Diabetesberaterin Michaela Schlobohm arbeitet in genau so einer Diabetes-Schwerpunktpraxis in Hamburg. Sie erklärt, wie der Besuch abläuft, was sie macht und warum es so wichtig ist, sich satt zu essen.

Liebe Michaela, was sagst du zu den Frauen, wenn sie das erste Mal zu dir kommen?

Ich versuche immer herauszufinden, wie es den Schwangeren geht. Man kann sich ja vorstellen, dass es ihnen nicht besonders gut geht. Sie hatten erst den Glucose-Toleranztest und dann die Diagnose, die sie erstmal erschreckt. Und dann dauert es auch noch, bis sie den Termin bei uns bekommen, damit ich ihnen das Blutzuckermessen beibringe. So können sie selber überprüfen, wie ihre Blutzuckerwerte sind.

Wie wird der Blutzucker gemessen?

Die Schwangeren bekommen ein Blutzuckermessgerät und piksen sich dann mit einer kleinen Nadel in den Finger. Der Teststreifen kommt in das Messgerät und dann streicht man einen Tropfen Blut auf den Streifen. Meistens misst man morgens gleich den Nüchternwert nach dem Aufstehen und dann immer eine Stunde nach dem Essen. Also viermal täglich. Der Blutzucker zeigt an, wieviel Glucose im Blut ist. So können die Frauen selbst gucken, ob die Werte auffällig sind. Bei einer Schwangeren sollte der Nüchternwert morgens nicht über 95 mg/dl und nach den Mahlzeiten nicht über 140 sein. Die Werte sind bei einer Schwangeren nochmal etwas strenger eingestellt als bei einem/einer Typ-2- DiabetikerIn. 

Mit welcher Stimmung kommen die Frauen zu dir?

Manche Frauen sind ganz aufgelöst. Andere ganz abgeklärt. Ich versuche am Anfang erstmal ein Abwarten zu vermitteln, ich sage: Wir schauen uns das jetzt erstmal zwei Wochen lang an. Denn es gibt Frauen, die kommen mit sehr hohen Werten von ihrem Glucose-Toleranztest und dann ist es aber so, dass im Verlauf alles gar kein Drama ist und es gut funktioniert. Und es gibt auch Frauen da ist es andersrum. Die Test-Situation ist ja auch sehr künstlich, denn im Alltag; nimmt kaum jemand 75 Gramm Glucose auf einmal zu sich.

Welche Ernährungstipps helfen bei Schwangerschaftsdiabetes?

Das ist ganz individuell. Deshalb versuche ich herauszufinden, was die Frauen überhaupt essen. Es darf auf keinen Fall überfordern. Ich erkläre generell, wie eine gute und ausgewogene Ernährung in der Schwangerschaft aussieht. Das heißt: 40-50 % der Ernährung sollen immer noch Kohlehydrate sein. Und die Frauen müssen sich satt essen! Und ich gebe einen Zettel mit guten Lebensmitteln mit, die auf den Blutzucker weniger Auswirkung haben. Viel Gemüse, viele Ballaststoffe, Linsen und Kichererbsen zum Beispiel. Das sind alles Lebensmittel, die den Blutzucker schön stabil halten.

Läuft so ein Gespräch immer gleich ab?

Nein. Manchmal merkt man auch, dass Frauen klarere Anweisungen brauchen, das ist eine Typfrage. Wenn ich merke, dass eine Frau sehr informiert ist und sie auch noch mehr Tipps braucht, dann sage ich ihr zum Beispiel, dass Eiweiß am Morgen den Blutzuckerspiegel über den Tag stabil hält. Aber ich mache das tatsächlich nur in den seltensten Fällen, weil es auch schnell überfordern kann. Und auch, weil eine einfache Ernährungsumstellung und Bewegung oft ausreichen.

Wie kommt es, dass eine Ernährungsumstellung und Bewegung oft ausreichen?

Viele Schwangere denken immer noch: "ah jetzt darf ich für zwei essen". Und essen dann auch viel Süßes und Schokolade. Man hat aber in der Schwangerschaft keinen Mehrbedarf. Und wenn diese Frauen dann Süßigkeiten und Weißmehl-Produkte auf ein Minimum reduzieren, dann klappt das wunderbar für sie.

Warum ist der Wert nach dem Frühstück oft so hoch?

Alle Menschen, auch Gesunde, brauchen mehr Insulin, um die Kohlenhydrate aus dem Frühstück zu verarbeiten. Das liegt an verschiedenen Hormonen, die in der Nacht aktiv sind. Eigentlich sollen sie helfen, dass man morgens schneller fit ist, aber sie wirken auch der Insulinausschüttung entgegen. Und wenn man durch einen Gestationsdiabetes eh schon eine Insulinresistenz hat, dann ist es besonders schwierig. Deshalb hilft es, zwei kleine Frühstücke zu sich zu nehmen und sich nach dem Frühstück zu bewegen.

Woher kommt der Schwangerschaftsdiabetes eigentlich?

Zum Beispiel, weil die Frau genetisch vorbelastet ist. Wenn der Vater oder die Mutter oder Oma oder Opa einen Diabetes hatten, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man selber im Laufe des Lebens einen entwickelt, relativ hoch. Wenn das aber nicht so ist, dann kann man trotzdem die Erste sein, weil genetische Veränderungen vorliegen. Übergewicht spielt aber auch eine Rolle, oder zu wenig Bewegung. Auch Stress kann das Krankheitsbild auslösen.

Ab wann ist der Insulinbedarf in der Schwangerschaft erhöht?

Von der 28. bis zur 33. Woche ist der Insulinbedarf in der Schwangerschaft viel höher. Es gibt Frauen, da kann man ganz genau beobachten, wie ab Woche 28 bis Woche 33 der Zucker einfach hoch geht, und wenn die Hormone wieder runter gehen, dann werden auch die Zuckerwerte wieder besser.

Gibt es etwas, das man im Vorfeld tun kann?

Natürlich kann man vor einer Schwangerschaft versuchen, nicht übergewichtig zu sein, und sich gut zu ernähren und zu bewegen. Aber meine Güte, auch das gehört zum Leben dazu. Manche Frauen mit Gestationsdiabetes fühlen sich richtig als Versagerin, und das finde ich schrecklich.

Oh, das Gefühl kenne ich auch... .

Ich hatte letztens eine Schwangere vor mir, die hat gesagt, dass sie so eine Versagerin sei, weil sie vier Wochen vor der Geburt doch noch Insulin spritzen musste. Es ging einfach nicht, sie hat alles gemacht. Sie hat sich gut ernährt und Sport gemacht. Und dann ist das so! Es tat mir einfach so leid, weil sie natürlich keine Versagerin ist. Es ist so belastend, wenn solche Gefühle auch noch dazukommen. Die Schwangerschaft soll eine schöne Zeit sein. Wenn dann noch Scham und Versagensgefühle dazu kommen, das ist etwas, das gar nicht sein soll.

Wann bekommt eine Schwangere Insulin? Und ist es so, dass manchmal nur Insulin hilft?

Manchmal hat man alles getan und umgesetzt in der Ernährung und trotzdem schlagen die Blutzuckerwerte aus, das sind die Schwangerschaftshormone, die da Einfluss nehmen. Und wenn das so massiv ist, dann ist das eben so. Und dann ist Insulin gut! Das ist natürlich schade, weil es die Schwangerschaft nochmal mehr belastet.

Gibt es auch Frauen, die ihre Ernährung nicht umstellen wollen?

In ganz wenigen Fällen ist es so, dass die Schwangeren nicht gewillt sind, sich mit ihrer Ernährung, entsprechend umzustellen. Ich sag das jetzt einfach mal so platt: Es gibt Frauen, die sagen 'Nein, das will ich nicht, dann spritze ich halt'. Aber das ist die absolute Minderheit.

Kann man denn mit Insulin jeden Zucker einfach wegspritzen?

Es ist ein Irrglaube, dass man jeden Zucker, den man zu sich nimmt, wegspritzen kann. Von Insulin nimmt man auch zu. Und auch das ist ein Teufelskreis. Bei Insulin ist eine ausgewogene Ernährung wichtig. Hier war letztens eine sehr junge Schwangere, die sagte, sie könne nicht verzichten auf ihre Pizza, ihre Pommes und ihren Döner und ihre Mutter war dabei und sagte 'Du musst Gemüse essen', und sie: 'Ich hasse Gemüse'. Da kann man dann nicht viel machen. Ich kann sie nicht umerziehen, da wird dann Insulin angesetzt und man versucht, sie dann so gut wie möglich durch die Schwangerschaft zu bringen.

Warum ist die Berichterstattung über Gestationsdiabetes oft mit viel Angstmacherei verbunden?

Mitte der 90er habe ich die Ausbildung zur Kinderkrankenschwester gemacht, und war da auch im Kreissaal. Und natürlich auch auf der Wochenbettstation und dann auf der Neugeborenstation. Und damals gab es das noch, dass Babies viel zu groß und schwer auf die Welt kamen. Weil die Mutter Schwangerschaftsdiabetes hatte und man das gar nicht erkannt hatte. Auch weil man den nicht so intensiv gesucht hat.

Und was sind die Auswirkungen eines unerkannten Gestationsdiabetes auf das Baby?

Ein nicht entdeckter Schwangerschaftsdiabetes ist keine Kleinigkeit. Diese Kinder wiegen locker mal fünf Kilo. Sie haben kaum einen Hals, da liegt das Kinn auf der Brust auf und die Arme hängen nicht, weil das schlicht nicht geht, weil der Bauch viel zu groß ist im Vergleich zum Kopf. Und diese Babies haben richtig Probleme. Sie haben Anpassungsschwierigkeiten, weil sie im Bauch der Mutter den ganzen Zucker abbekommen haben und mit der Abnabelung plötzlich einen Zuckerentzug machen. Es gibt ein Risiko für Frühgeburten und kann Probleme mit der Atmung eingehen. 

Was hat sich seitdem verändert?

Mittlerweile ist es so, dass eigentlich jede Frau den Glucose-Toleranztest macht. Das ist seit 2012 in den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehen. Man ist da sehr streng geworden, weil man einfach weiß, dass die Mütter und auch die Babies sonst einen schlechten Start ins Leben haben. Schwangerschaftsdiabetes war früher keine Kleinigkeit und ist es auch heute nicht, aber heute bekommen fast alle Frauen diese Untersuchung. Es gibt nur noch ganz vereinzelt einen unentdeckten Gestationsdiabetes.

Was sollte sich deiner Meinung nach verändern in Bezug auf die Kommunikation über Gestationsdiabetes?

Es wird viel mit Angst gespielt. Ein Schwangerschaftsdiabetes ist keine Kleinigkeit, das stimmt. Man muss ihn ernst nehmen, aber man hat auch einfach wahnsinnig viel selbst in der Hand. Man kann die Ernährung umstellen, man kann sich mehr bewegen, man kann die Blutzuckerwerte selbst kontrollieren. Und plötzlich sieht man, dass man nicht machtlos ist. Und darauf sollte man sich fokussieren.