Warum ich mich für meinen Schwangerschaftsdiabetes geschämt habe
Und was das mit dem Müttermythos und Körperbildern zu tun hat.
Durchgefallen, Test nicht bestanden, versagt – so fühlte es sich an, als mich meine Frauenärztin mit der Diagnose Gestationsdiabetes konfrontierte. So saß ich im April vergangenen Jahres in der Schwangerschaftswoche 27 im Labor bei meiner Gynäkologin und hörte nach einer großen Ladung Zuckerwasser (Glucose-Toleranztest) den Satz: “Ab jetzt nur noch Salat” von der Arzthelferin. Schon mal vorweg: Das ist Quatsch! Was aber kein Quatsch ist: Süßigkeiten und Weißbrot waren erst mal tabu.
Und so kroch die Scham von meinen Zehenspitzen hoch über meine Beine, bildete Gänsehaut am Po, Übelkeit im Bauch und nebelige Vorwürfe im Kopf - hatte ich meinen Körper doch in den letzten Wochen und Monaten nicht gerade wie einen Tempel behandelt. Der Job, ein Umzug und eine fordernde Vierjährige machten mich zum absoluten Snack-Monster: bestellte Pizza, zwischendurch Schokolade und morgens eine große Portion Obst und Müsli. Hauptsache schnell, fettig oder süß.
Von meiner Frauenärztin bekam ich eine Überweisung zu einer Diabetes-Schwerpunkt-Praxis. Es war ein komisches Gefühl, einen Termin in einer Praxis für chronisch erkrankte Menschen zu vereinbaren und sich plötzlich neben Schwangerschaft auch mit Krankheit zu beschäftigen. Dieses Gefühl beschreiben auch mehrere Frauen in einer Studie der Wissenschaftlerin Judith Parson.
Deshalb schreibe ich diesen Text. Um aufzuklären, aber auch, weil ich ihn an diesem Tag im April vergangenen Jahres im Internet gerne gefunden und gelesen hätte.
Damals, im April, fand ich keinen Text der zu meinem Gefühl passte, aber dafür im Internet viele Fakten: So fand ich heraus, Schwangerschaftsdiabetes eine Glukosetoleranzstörung ist, die erstmals in der Schwangerschaft auftritt. Dass allein in Deutschland rund 45000 Frauen jährlich an Gestationsdiabetes erkranken. Das sind 5.9 Prozent der Schwangeren. Tendenz steigend. Die Gründe hierfür können Übergewicht, das Alter, eine genetische Vorbelastung oder vergangene Fehl- und Totgeburten sein (Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2021, p. 150). Themen, die ohnehin schon mit Scham und Schmerz belegt sein können. Und 40 Prozent der Schwangeren, die an Gestationsdiabetes erkranken, haben keine der oben genannten Vorbelastungen.
Was konnte mein Körper plötzlich nicht mehr, was ihm vorher keine Probleme bereitete?
In dem Schwangerschaftsbuch der Hebamme Kareen Dannhauer “Guter Hoffnung. Hebammenwissen für Mama und Baby” steht:
"Das Humane Placenta-Lactogen (ein wichtiges Schwangerschaftshormon). sorgt in der Schwangerschaft für das kindliche Wachstum und die Vorbereitung der Brüste auf die Milchproduktion, es erhöht aber auch die Insulinresistenz." (p.110).
Es ist also ein hormonell bedingtes Problem. Normalerweise ist es nämlich so, dass der Körper Insulin produziert um den Zucker und die Kohlehydrate in die Zellen des Körpers zu tragen. Das geht plötzlich nicht mehr so richtig gut. Und so steigt der Zuckergehalt im Blut an.
Später erklärte mir meine Diabetologin: Der überschüssige Zucker und die Kohlehydrate die man durch Pasta, Pizza, aber auch Müsli und Obst zu sich nimmt, gelangen durch die Plazenta zum Baby. Und um den Zucker und die Kohlehydrate zu verarbeiten, fängt die Bauchspeicheldrüse des Babys an mitzuarbeiten, um Insulin auszuschütten. Das Baby hilft also mit, da Insulin aber ein Wachstumshormon ist, wächst das Baby zu schnell und das obwohl seine Organe noch nicht ausgereift sind. Das ausgeschüttete Insulin hemmt nämlich das Hormon Cortisol. Und Cortisol wiederum hilft bei der Ausreifung der Organe.
Nun waren also eine kohlenhydratarme Ernährung und Bewegung angesagt. Außerdem sollte ich viermal am Tag zur Kontrolle mein Blutzucker messen. Das bedeutete morgens nach dem Aufstehen nüchtern und dann nach jeder Mahlzeit. Zur Kontrolle ging es alle zwei Wochen zum Ultraschall bei der Gynäkologin.
Ich fühlte mich nicht mehr wie eine Schwangere, sondern wie eine kranke Hülle, die ihr Baby gefährdete. Zum Glück verschwand das Gefühl nach und nach, als ich mich an die neue Situation gewöhnte und meine Ernährungsumstellung auch erfolgreich war.
Weil ich rückblickend noch mehr wissen möchte, vereinbare ich im Dezember einen Video-Call mit der Chefärztin der Gynäkologie des Auguste-Viktoria-Klinkums in Berlin, PD Dr. med Mandy Mangler, sowie dem Oberarzt Tino Hentrich und der leitenden Hebamme Claudia Rheinbay. Sie erklären mir:
In den meisten Fällen bekommt man den Schwangerschaftsdiabetes mit einer Ernährungsumstellung und mehr Bewegung in den Griff. Wenn die Blutzuckerwerte gut sind, dann geht es auch dem Baby gut. Es ist dann keinem zusätzlichen Zucker ausgesetzt. Und bei guten Blutzuckerwerten mache es nur einen minimalen Unterschied, ob man einen Schwangerschaftsdiabetes hat - oder nicht. Wenn das nicht klappt, dann spritzt die Schwangere zusätzlich Insulin.
Weil ich wissen will, ob es anderen Frauen ähnlich geht, recherchiere ich im Netz und stoße auf den Blog “Katastrophal” von Katha. Sie ist Plus-Size-Bloggerin und lebt in Wiesbaden. Sie schreibt auf ihrem Blog: “ Trotzdem komm ich irgendwie nicht aus dem negativen Denken heraus und kann es nur als persönliches Versagen sehen. Ich schäme mich total und mach mir ganz viele Sorgen… mir tut es auch einfach so Leid, dass ich meinem Kleinen nun so ein schlechter Host bin und seine Bauchspeicheldrüse so stresse. Das hat mich inzwischen schon echt so viele Tränen gekostet und jeder erhöhte Messwert lässt mich wieder verzweifeln.” Auch aus Scham überlegte sie im Vorfeld, ihre Erkrankung nicht öffentlich zu machen. Gleichzeitig wollte sie aber auch authentisch von ihrer Schwangerschaft berichten.
Und ich kann sie so gut verstehen.
Mich beschäftigt immer noch dieses starke Gefühl der Scham. Ich bin eigentlich eine selbstbewusste Frau. Deshalb vereinbare ich im Dezember ein Gespräch mit der Diplom-Psychologin Susanne Baulig. Ich will mit ihr darüber reden, suche nach Einordnung. Sie leitet den Schwerpunkt Psychodiabetologie im Rahmen der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz und ist Expertin, was das Thema Scham und Diabetes angeht.
Susanne Baulig, Diplom-Psychologin, leitet den Schwerpunkt Psychodiabetologie im Rahmen der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz. Bild: Angelika Stehle.
Susanne Baulig erzählt mir, dass sie sich um PatientInnen kümmert, die aufgrund einer psychischen Vorerkrankung Schwierigkeiten haben ihren Lebensstil dem Diabetes anzupassen oder die trotz Schulungen Probleme haben, ihre Krankheit zu akzeptieren. Sie erklärt mir, dass die Scham bei einem Gestationsdiabetes auch mit einem überzogenen Mutterbild zu tun haben kann. So haben die Frauen das Gefühl, als Mutter versagt zu haben - und das schon bevor das Baby geboren ist. Dieser verflixte Muttermythos! Und wieder kann ich das aus eigener Erfahrung bestätigen.
Auch meine Diagnose fühlte sich wie ein Versagen an: Du hast dich nicht gut genug ernährt und somit die Gesundheit deines Babys aufs Spiel gesetzt. Dazu kommt das große Stigma der DiabetikerInnen, so Baulig “da sich der gesellschaftliche Blick fast immer auf die Ernährung und die Bewegung richtet”. Und auch bei einem Schwangerschaftsdiabetes können diese Mechanismen eine Rolle spielen. Das Gefühl, dass bei den Betroffenen ankommt ist: Du hast selber schuld, also hast du jetzt eben Diabetes. Das verursacht, dass die Betroffenen sich schämen. Dennoch, wirklich viele Studien gibt es zu dem Thema nicht, sagt Susanne Baulig.
“Scham und Schwangerschaftsdiabetes sind ein Randthema, das mehr Beachtung bekommen sollte. Eine Hypothese könnte lauten: Frauen, die sich besonders für ihren Schwangerschaftsdiabetes schämen, haben ein erhöhtes Risiko an einer Depression zu erkranken.”
Und auch PD Dr. med Mandy Mangler sagt: “Es wäre zu viel zu sagen, dass Frauen mit einem Schwangerschaftsdiabetes eine Posttraumatische Belastung haben, aber sie können sehr unter der Erkrankung leiden.”
Diese Erfahrung machte auch meine Freundin Filiz. Sie ist Yogalehrerin und topfit, doch auch sie bekam in ihrer Schwangerschaft die Diagnose Gestationsdiabetes. Und trotz Diabetes-Vorbelastungen in der Familie war sie ganz schön geschockt von der Diagnose: “Ich hatte plötzlich solche Angst zu essen. Und ich wusste auch nicht wem ich davon erzählen wollte”, erzählt sie mir am Telefon. Sie hatte keine Lust ständig beim Essen beäugt zu werden und plötzlich als Diabetikerin dazustehen. Und auch hier greift wieder das Vorurteil: “So als ob ich nichts über Ernährung wüsste.”
Filiz, 33: “Ich hatte plötzlich solche Angst zu essen." Bild: privat.
Besonders hart kann die Scham auch Schwangere treffen, die insulinpflichtig werden. "Viele Patientinnen fragen sich: Wie schaffe ich es nicht Insulinpflichtig zu werden? Dabei hat man da nicht unendlich viel Einfluss drauf, auch nicht mit der richtigen Ernährung”, stellt Suanne Baulig klar.
Und was die Scham betrifft, hat auch Susanne Baulig eine entscheidende Erkenntnis: “Mit zunehmender Diabetes-Erfahrung können Menschen mit Diabetes ihrem Umfeld souverän von ihreur Krankheit berichten.”
Frauen mit Gestationsdiabetes haben hierbei nur eine begrenzte Zeit, dafür aber eine wunderbare Motivation. Und das kann ich nur bestätigen. Nach einigen Wochen fühlte ich etwas viel Schöneres: Ich schaffte es meistens gute Blutzuckerwerte zu haben und darauf war ich stolz.